Der Einsatz deskriptiver und generativer künstlicher Intelligenz (KI) hat eine tiefgreifende Transformation der Biotechnologie eingeleitet. Der SOS-Bericht „Wenn Chatbots neue Sorten züchten“ von Benno Vogel fasst den galoppierenden Stand der Technik in Bezug auf die Pflanzenzüchtung zusammen. Wie sollten Wissenschaft und Gesetzgebung mit den sich abzeichnenden neuen Herausforderungen umgehen?
Die neue Konvergenz von Gentechnik und eigenständigem Maschienenlernen birgt eine Vielzahl weiterer Herausforderungen: Die Technik wird deutlich mehr Menschen mit sehr viel geringerer Vorbildung als bisher zu kontinuierlich fallenden Preisen zur Verfügung stehen. Die Ergebnisse der Algorithmen lassen sich nur bedingt mit den Mitteln bisheriger menschlicher Logik nachvollziehen und überprüfen. Sie werden sich mit der weiteren Beschleunigung der Verarbeitung immer grösserer Datenmengen immer weiter ausdifferenzieren und an Komplexität zunehmen. Die bis vor Kurzem noch unvorstellbaren Möglichkeiten der Simulation natürlicher Prozesse werden dabei vom Zugang zu entsprechender Computerkapazität abhängen, die bisher größtenteils von wenigen privaten Unternehmen kontrolliert wird.
Bereits jetzt arbeiten die von großen Tech-Konzernen angebotenen Programme zur Analyse und Generierung von genomischen Daten an sogenannten „new to nature“ Proteinen, die in dieser Form bisher in der Natur nicht existieren. Die Kombination von Daten auf den Ebenen von DNA, RNA und Proteinen wird in ersten KI-Modellen bereits erprobt. Hinzu könnten bald Datenbanken aller bisher zu dem Thema erschienen wissenschaftlichen Veröffentlichungen kommen.
Die Verbindung dieser Entwicklungen im Bereich der Datenverarbeitung mit Formen moderner Automation und Robotik etwa bei der Pflanztechnik und deren Kontrolle könnte auch an der Schnittstelle vom Computer zur biologischen Realisierung die Beteiligung von Menschen bald erheblich reduzieren oder gar überflüssig machen.
Ausgerechnet an der Schwelle zu dieser sich abzeichnenden eindrucksvollen technologischen Welle steht die Europäische Union (EU) möglicherweise kurz vor einer weitreichenden Deregulierung der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen. Sie plant, Pflanzen, die mittels sogenannter Genomeditierung (v.a. CRISPR Cas) entwickelt wurden, größtenteils von den bestehenden Vorschriften zu vorsorgender Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Verbraucherkennzeichnung von GVOs auszunehmen. Das entscheidende Kriterium soll dabei die Anzahl der Orte gentechnischer Veränderungen im Genom (20) sein. Wissenschaftler*innen sind sich dabei einig, dass dies wenig über die möglichen Effekte und Gefahren aussagt. Für Gentechnik-Chatbots wären die Beschränkungen möglicherweise eher eine sportliche Herausforderung beim Design von neuen Pflanzen mit tiefgreifend veränderten Eigenschaften für den Verzehr und ihre Auswirkungen in Ökosystemen. Die EU-Kommission und die dänische Regierung, die im Sommer die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen wird, planen nach der Deregulierung von Gentechnikpflanzen bereits eine weitere Neuordnung in Bezug auf die Freisetzung gentechnisch veränderter Mikroorganismen.
„Die entscheidende Schnittstelle zwischen dem gewaltigen Potential eigenständig lernender Maschinenintelligenz und der Natur, in der wir gemeinsam leben, ist die Freisetzung von sich selbst vermehrenden Organismen in die Umwelt,“ warnt Benny Haerlin von Save Our Seeds vor dem Deregulierungsvorschlag, „Es wäre leichtfertig und unverzeihlich, ausgerechnet jetzt die bisher rechtlich und praktisch klar definierte Kontrolle über diese Grenze aufzugeben.“